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Der Umgang mit nicht-sichtbaren Behinderungen in der Beratung

Person vor einem Schatten (Mensch in Rollstuhl)

Ein Bericht von Lars Hemme, Berater in der Fachstelle Teilhabeberatung

Beratungen sollten im Kontext der nicht-sichtbaren Behinderungen besonders sensibel, feinfühlig und zielbringend geführt werden. Informationen über das Leben und die Ängste sowie Diskriminierungserfahrungen der ratsuchenden Person abzufragen sind hierbei hilfreich, um keine weiteren Traumata auszulösen.

Die Unterscheidung zwischen sichtbaren und nicht-sichtbaren Beeinträchtigungen ist wichtig. So schreibt unter anderem das Internetportal kombabb, dass der Begriff „nicht-sichtbar“, „nicht-erkennbare“ bzw. „nicht-wahrnehmbare“ Behinderungen / chronische Erkrankungen bezeichne. Dazu zählen unter anderem Erkrankungen wie Diabetes, Epilepsie, Autismus-Spektrum-Störungen oder psychische Erkrankungen, Personen mit rheumatischen oder Tumorerkrankungen, mit Stoffwechselstörungen, chronischen Magen-Darm-Erkrankungen, Teilleistungsstörungen (Legasthenie oder Dyskalkulie) oder Schmerz- und Dialysepatienten. Diese Aufzählung stellt keine Vollständigkeit dar.

Auch in meiner ehemaligen Arbeit als EUTB®-Berater kamen oft Menschen mit nicht-sichtbaren Behinderungen zu mir. Oft ging es dabei um den „Antrag auf Schwerbehinderung“. Dabei war es den meisten ein Anliegen, ihre Schwerbehinderung besonders in Bezug auf ihr Arbeitsleben zu umgehen, weil sie Angst davor hatten, weitere Diskriminierungen zu erfahren oder innerhalb der Arbeitswelt beziehungsweise der Gesellschaft stigmatisiert zu werden.

Warum sprechen wir nicht gerne über nicht-sichtbare Behinderungen?

In der Regel haben die Betroffenen Angst davor, ein unangenehmes Gespräch in der Arbeitswelt über ihre Beeinträchtigung zu führen. Sie befürchten, dass sich ihre Beeinträchtigung im Arbeitskontext negativ auswirken könnte. In den Beratungsgesprächen habe ich deshalb die ratsuchende Person zunächst immer über ihre Beeinträchtigung allgemein befragt, um Ihre Bedenken in etwas Positives umzuwandeln. So konnten wir gemeinsam zuerst nachvollziehen, welche negativen Aspekte ihnen entgegengebracht wurden. Außerdem versuchte ich immer deutlich zu machen, dass jede Beeinträchtigung ihre Berechtigung haben darf und nicht bagatellisiert gehört. Gerade innerhalb dieser Personengruppe müssen Betroffene oft mit den Vorurteilen „bei dir sieht man ja gar nichts“ oder „stell dich nicht so an“ leben.

Wenn Ratsuchenden dieser Vorwurf entgegengebracht wird, hat er*sie berechtigterweise Angst, überhaupt über die Beeinträchtigung zu sprechen. An dieser Stelle ist es wichtig, dass die Beratung wertschätzend auf die Bedürfnisse der ratsuchenden Person eingeht.

Als besonders hilfreich haben sich in der Beratung anonymisierte Erfahrungsberichte von anderen Betroffenen erwiesen: So haben die Ratsuchenden das Gefühl, nicht allein zu sein. Der Vergleich kann dabei helfen, dass Ratsuchende die problematische Denkweise globalisiert betrachten und feststellen können, dass das Gewicht ihrer Beeinträchtigung nicht nur auf ihren Schultern allein lastet. Die Tatsache, dass ähnliche Situationen auch anderen schon begegnet sind, hilft dabei „gute Beispiele“ in die eigene Lebenswelt zu integrieren.

Letztendlich können also der eigene Umgang und die eigene Akzeptanz dabei helfen, den Vorurteilen mit positivem Denken zu begegnen und die negativen Einflüsse mit Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein zu entkräften. Diese Bewusstseinsbildung geschieht dabei nicht nur bei der ratsuchenden Person selbst, sondern kann bestenfalls insgesamt zu einem Paradigmenwechsel im Umgang mit nicht-sichtbaren Behinderungen in der Gesellschaft führen.

12/2022