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Autismus verstehen – Barrieren abbauen, Teilhabe ermöglichen

Ein persönlicher Einblick in Beratung, Sprache und gelebte Erfahrung

Stephan Alberti-Riedl, Berater der EUTB® Kaiserslautern, erklärt, was Autismus bedeutet, wie Barrieren im Alltag erkannt und abgebaut werden können – und welche Rolle Sprache in der Beratung spielt.

Kennen Sie eine*n Autist*in, kennen Sie eine*n Autist*in.“
(Stephen Shore)

Aus medizinischer Sicht wird Autismus häufig als Reizverarbeitungsstörung beschrieben. Das bedeutet: Sinneseindrücke wie Geräusche, Licht oder Gerüche werden anders – stärker oder schwächer – wahrgenommen. Ich vergleiche das Gehirn gern mit einem Stromkreis: Bei Menschen mit Autismus ist er anders verdrahtet. Nicht besser, nicht schlechter – einfach anders.

Unsichtbare Barrieren erkennen

Autismus ist eine oft unsichtbare Beeinträchtigung. Das macht es im Alltag schwer, Barrieren zu erkennen – für Betroffene und ihr Umfeld. Man kann autismusbezogene Barrieren in drei Kategorien unterscheiden:

  • Physische Barrieren: z. B. laute Großraumbüros, die für hörempfindliche Menschen mit Autismus belastend sind.
  • Einstellungsbedingte Barrieren: z. B. Aussagen wie „Stell dich nicht so an!“ oder mangelndes Verständnis.
  • Informationsdefizite: z. B. wenn Menschen helfen wollen, aber nicht wissen, wie.

Auch wir selbst – Menschen mit Autismus – stoßen manchmal an Grenzen: Viele spüren zwar, dass etwas sie überfordert, erkennen aber (noch) keinen Unterstützungsbedarf. Oft aus Angst vor Ablehnung oder Stigmatisierung.

Barrieren lassen sich nur abbauen, wenn alle Beteiligten aufeinander zugehen. Beispiele dafür sind:

  • eine klare Aufgabenteilung im Kollegium (z. B. weniger Telefonate für geräuschempfindliche Mitarbeitende),
  • eine offene Gesprächskultur (Themen wie Reizüberflutung ansprechen),
  • und klare, strukturierte Kommunikation (verlässliche Absprachen, feste Zeiten und Rahmen).

Peer-Beratung: Mit Expertise aus dem eigenen Leben

Als Autist und Peer-Berater bringe ich nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch persönliche Erfahrungen ein. Ich weiß, wie es sich anfühlt, ständig zwischen Anpassung und Selbstschutz zu balancieren – mit Reizüberflutung, unerwarteten Veränderungen oder sozialem Druck.

Gerade im Kontakt mit anderen Betroffenen hilft mir dieses Wissen, schnell eine vertrauensvolle Verbindung aufzubauen. Ich erkenne oft früh, was belastet – auch wenn es nicht direkt ausgesprochen wird. Das gibt Ratsuchenden das Gefühl, wirklich verstanden zu werden.

Ich begleite Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenslagen – auch mit zusätzlichen Diagnosen wie Depressionen, Ängsten oder Dyspraxie. Dabei arbeite ich alltagsnah, sensibel und lösungsorientiert – für Betroffene wie für deren Umfeld.

Sprache als Schlüssel zur Teilhabe

Sprache beeinflusst, wie wir über uns selbst und andere denken. Viele von uns bezeichnen sich bewusst als Autist*innen, um zu zeigen: Autismus gehört zu unserer Identität. Andere sprechen lieber von Menschen mit Autismus, um den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Auch die Bezeichnung Neurodivergenz schließt Menschen mit Autismus ein. 

Die Fachstelle Teilhabeberatung verwendet die Formulierung Menschen mit Autismus, um respektvoll und inklusiv zu bleiben. 

Unabhängig von der Bezeichnung: Menschen mit Autismus wollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben – genauso wie Menschen ohne Autismus. Wenn wir Barrieren abbauen und Sprache bewusst wählen, kommen wir diesem Ziel ein Stück näher.

Mit einem kleinen Exkurs möchte die Fachstelle Teilhabeberatung auf ein Beispiel für Barrierereduzierung für Menschen mit Autismus hinweisen. 

Exkurs: Abbau von Barrieren beim Einkauf – die Stille Stunde 

Die Stille Stunde ist ein Konzept, bei dem Geschäfte und Einrichtungen regelmäßig eine Phase schaffen, in der Reize bewusst reduziert werden: Das Licht wird gedimmt, Durchsagen und Musik bleiben aus, Bildschirme werden abgeschaltet und laute Geräusche vermieden. So entsteht eine entspannte Umgebung. Ursprünglich stammt die Idee aus Neuseeland und wurde in Deutschland aufgegriffen, um mehr Barrierefreiheit und Teilhabe im öffentlichen Leben zu ermöglichen. Auf der Seite Stille Stunde können teilnehmende Geschäfte gefunden werden.

10/2025