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Ableismus

Ableismus ist das Fachwort für die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ("Diskriminierung") wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten. Es ist also "Ableismus", wenn ein Mensch wegen einer bestimmten, oft äußerlich wahrnehmbaren Eigenschaft oder einer Fähigkeit – seinem "Behindertsein" – bewertet wird.

Das Wort kommt aus dem Englischen und klingt ähnlich wie "Rassismus" oder "Sexismus". Das ist beabsichtigt. Es soll ja eine Form von Diskriminierung bezeichnen - so wie rassistischen oder sexistischen Denk- und Verhaltensweisen. Dazu gleich mehr in der Folgefrage!

Eine Diskriminierung kann übrigens auch eine positive Äußerung sein. Zum Beispiel, wenn Menschen mit Behinderungen beim Erledigen von ganz alltäglichen Dingen immer wieder hören, wie toll es ist, dass sie das "schaffen". Jede Person würde es als unangenehm empfinden, wenn sie beispielsweise für das Öffnen einer Tür oder Haare kämmen "gelobt" werden würde.

Den Begriff Ableismus wird man in einem deutschen Gesetz zwar vergeblich suchen. Das gilt auch für die UN-BRK. Er steht aber stets in deren Hintergrund, in der UN-BRK etwa in Artikel 8 zur Bewusstseinsbildung.

  • "Ableismus" ist eine direkte Übersetzung des englischen "ableism" und setzt sich zusammen aus "to be able" (= dt. fähig sein) und der Endung –ism (= dt.: ismus). Man spricht auch in der deutschen Übersetzung die erste Silbe so aus, wie im Englischen, also: Äi-be-lis-mus. Die Endsilbe „-ismus" wird oft zur Bezeichnung von Glaubens- oder Gedankensystemen verwendet, also einer grundlegenden Haltung, einem Weltbild - Ableismus klingt also ganz bewusst so ähnlich wie „Rassismus“ oder „Sexismus“. Ihren Namen bekommen die „Ismen“ von der je zugeschriebenen Eigenschaft, aufgrund derer die Betroffenen diskriminiert werden: Im Falle des Sexismus ist es das Geschlecht (engl.: sex), bei „Rassismus“ die Zugehörigkeit zu einer angenommenen „Rasse“. Dabei müsste man eigentlich vielmehr von „ethnischer Herkunft“ sprechen, denn aus wissenschaftlicher Perspektive gibt es keine biologischen Grundlagen für die Annahme von „Menschen-Rassen“: Der Begriff bzw. die Idee der „Rasse“ ist das Produkt von Rassismus und nicht umgekehrt. Die Endung „-ismus“ beim Wort Ableismus soll also vor allem die Nähe zu anderen Diskriminierungspraktiken nahelegen.

    Man kann aber noch eine weitere Parallele ziehen: Bei solchen „Ismen“ – ob Sexismus, Rassismus oder Ableismus – müssen die zugrundeliegenden Vorurteile überhaupt keine tatsächliche (biologische) Entsprechung in der Realität haben. Vielmehr sind es die „Vor-Urteile“ (Wünsche, Projektionen, Überzeugungen) des jeweiligen Weltbildes, die die Wahrnehmung der Realität prägen: Auch angenommen „objektive“ Urteile sind bereits getränkt von Vor-Urteilen.

    Und so verweist „Fähigsein“ auf biologische, körperliche oder geistige Normen, die in einer Gesellschaft als Maßstab oder Bewertungsmuster wirken: Tief verwurzelte Überzeugungen zum Ideal des Körpers und der Psyche, aber auch zu Gesundheit, Produktivität und Schönheit. Eine Diskriminierungspraxis sagt also immer mehr über eine Gesellschaft aus als über die Menschen, die sie diskriminiert.
    Manchmal wird „ableism“ auch mit „Behindertenfeindlichkeit“ übersetzt. Weil die Diskriminierung von behinderten Menschen aber viel mehr Dimensionen als „Feindlichkeit“ hat – auch bloßes Ignorieren von Bedürfnissen oder übermäßiges „Loben“ – ist das keine so gute Übersetzung.

  • Inzwischen hat sich für Ableismus gegenüber hörbeeinträchtigten Menschen ein eigener Begriff etabliert: Audismus. Audismus bezeichnet eine Diskriminierungsform, die auf der Besserstellung des Hörens beruht. Die Überbetonung von Hören und Sprechen wird auch als Phonozentrismus bezeichnet. Sie geht einher mit der Abwertung von nicht gesprochenen Sprachen wie den visuellen Gebärdensprachen. Worauf die beiden Begriffe abzielen, das kann man sich bereits grob mithilfe derer Herkunft erschließen: Phono-zentrismus leitet sich aus dem Griechischen ab: phoné bedeutet so viel wie Klang bzw. Ton, aber auch Stimme. „Audismus“ setzt sich aus der Endsilbe –ismus (siehe oben!) und dem lateinischen Wort für Hören (audire) zusammen.

    Audistische Praktiken resultieren aus der Vorstellung, dass ein Leben ohne Gehör minderwertig sei. Gehörlosenkultur, Gebärdensprache und das Zugehörigkeitsgefühl tauber Menschen als ethnische Gruppe werden abgewertet. Das passiert oft nicht absichtlich oder bewusst. Aber es kann dazu führen, dass von nicht hörenden Menschen grundlos Verhaltensweisen, Anforderungen, Werte usw. verlangt werden, die sie nicht erfüllen können oder wollen. Eine weitere Folge des Nicht-lautsprachlich-Kommunizieren-Könnens ist, dass hörbeeinträchtigten Menschen häufig weniger zugetraut wird bzw. ihre Kompetenzen angezweifelt werden.

    Der Begriff Audismus wurde 1975 von Tom Humphries geprägt, der den Begriff erstmalig in seiner unveröffentlichten Doktorarbeit verwendete. Es werden drei Ebenen des Audismus unterschieden: individueller Audismus, institutioneller Audismus und gesellschaftlicher Audismus.

    Bei Britannica kann man über die Geschichte und Bedeutung des Begriffs mehr erfahren (auf Englisch).

  • Frau A. fährt im Taxi zur Universität. Der Taxifahrer duzt sie und fragt, warum sie überhaupt noch studiere. Als Frau A. ihm sagt, dass sie dort ein Seminar anbietet, siezt er sie plötzlich und wünscht ihr alles Gute. 

    Man kann hier auch sehen, wie eng verwandt Sexismus, Rassismus und Ableismus sind: Frau A. könnte eine Frau (zumindest vor 50 Jahren), ein Mensch mit Migrationshintergrund oder mit Behinderungen sein. Das Beispiel stammt aus einer Broschüre zu Ableismus und hat sich wirklich so ereignet.

  • Die UN-BRK ist ja extra geschrieben worden, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken – oder umgekehrt: deren Diskriminierung zu verringern. Das kann man in aller Deutlichkeit aus der Präambel herauslesen. Sehr deutlich auch noch einmal im Artikel 8 zu "Bewusstseinsbildung". Hier wird zusätzlich deutlich gemacht, dass die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen im Denken der Menschen beginnt (in "Klischees, Vorurteile[n]" und in unbewussten "schädliche[n] Praktiken"). 

    Und diejenigen deutschen Gesetze, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen verringern wollen, behandeln dann natürlich auch den Ableismus. So zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). Das AGG richtet sich gegen rassistische, sexistische oder ableistische (und "ageistische", also auf das Alter bezogene) Handlungen – nennt diese Begriffe aber nicht. Und das BGG setzt sich in § 1 Abs. 1 das Ziel: "Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen und zu verhindern".